„Soll alles möglich bleiben, darf nichts wirklich werden.“

Wilhelm Schmid im Tagesspiegel vom 18.03.2012, S. 7

 

Und am Tag zuvor eine Variation dieser Aussage bei Thomas Pynchon (Mason & Dixon S. 65) gelesen:

 

„Als gäbe es nicht ein einziges Schicksal“ grübelt Mason, „sondern im Gegenteil eine Auswahl unter einer Vielzahl möglicher, deren Menge sich jedes Mal, wenn eine Wahl erfolgt, beständig vermindert, bis sie endlich in die Ereignisse übergeführt ist, die uns tatsächlich widerfahren, während wir uns durch die unwiederbringlich verlorene Zeit zwischen ihnen bewegen.“

Slawischer Nebel

„Zola legte sein Geständnis ab, dann war Turgenew an der Reihe. Dem galanten Moskauer war der Gedanke an den Tod ebenso vertraut wie den anderen, doch er hatte eine Methode, damit umzugehen: Er wischte ihn so weg – und demonstrierte das mit einer kleinen Handbewegung. Die Russen, erläuterte er, könnten Dinge in einem ´slawischen Nebel´ verschwinden lassen, den sie zum Schutz vor logischen, aber unerfreulichen Gedankengängen herbeizauberten.“

(Julian Barnes, Nichts, was man fürchten müsste, S. 238)

„Die Stumpfheit und die Weisheit …

…treffen sich auf der gleichen Stufe der Empfindung und der Entschlossenheit im Erleiden der menschlichen Widerwärtigkeiten: die Weisen bezwingen und beherrschen das Ungemach, und die anderen nehmen es nicht wahr: diese bleiben sozusagen unterhalb der Widerwärtigkeiten, jene sind über sie hinaus; nachdem sie deren Bewandtnis reiflich gewogen und erwogen, sie durchmessen und für das erkannt haben, was sie sind, heben sie sich durch die Kraft eines standhaften Herzens über sie empor; sie verachten sie und treten sie unter die Füße, da ihre Seele stark und fest genug ist, daß die Pfeile des Glücks, die gegen sie anstürmen, an ihr zersplittern und abprallen müssen, weil sie auf einen Körper treffen, in den sie nicht eindringen können: die gewöhnliche und mittlere Gattung der Menschen befindet sich zwischen diesen beiden äußeren Grenzen, im Haufen derer, die das Ungemach wahrnehmen, fühlen und nicht zu ertragen vermögen.“

(Montaigne, Essais, Von der nichtigen Spitzfindigkeit)

Unendlich weise oder vielleicht ein bißchen banal?  Selbst wenn letzteres der Fall sein sollte, ich weiß es nicht,  bleibt eine tolle Satzperiode mit richtig viel Wums.

 

Brieföffner

„Man kann hinnehmen, dass das Leben sinnlos ist, oder man stellt die Annahme in Frage, dass wir Brieföffner sein müssen, damit das Leben einen Sinn hat.“ (J. Baggini, Der Sinn des Lebens, S. 17).

Ja, das ist aus dem Zusammenhang gerissen und nein, das Buch ist nicht schwachsinnig.

„Eine gute Bahnhofskneipe …

… sollte gar nicht schön sein. Die Verkommenheit machte einen Teil ihres Reizes aus und lenkte von der Scham der Gäste ab – Männer, die sich betäubten, bevor sie irgendwohin fuhren, wo sie gar nicht sein wollten.“

Jenny Siler, Verschärftes Verhör, S. 15

Geil!

„Sie hätte zweiundvierzig sein, drei Kinder und am Hinterteil zwei Ringelschwänze haben können – es wäre mir egal gewesen. So stark war die magnetische Anziehung.“

Haruki Murakami, Gefährliche Geliebte, S. 51

Was ich aus der Lektüre von 967 Seiten Tolstoi (Anna Karenina) mitnehme

  • grundlegende Entscheidungen: Wenn man eine grundlegende Entscheidung trifft, kann man sich nicht sicher sein, dass man die Folgen korrekt einschätzt. Anna und Wronskij waren sich absolut sicher, dass ihnen ihre Liebe als Lebensinhalt  ausreicht und dass die Gesellschaft und die Konventionen ihnen egal sind. Das stellt sich im Roman aber als unzutreffend heraus.  Eine Erfahrung, die jeder – wenn auch nicht mit so tragischem Ausgang – kennt und die weiter zu der Frage führt, ob und inwieweit die Zukunft plan- und vorhersehbar ist.
  • Individuum und Gesellschaft: Wie viel Akzeptanz durch die Gesellschaft – und das heißt im Umkehrschluss wie viel Anpassung an die Gesellschaft – brauchen wir um zu überleben, bzw. um glücklich zu sein.
  • Männer und Frauen in der Gesellschaft: Annas und Wronskijs Handlungsmöglichkeiten werden durch die  gesellschaftlichen Vorgaben bestimmt, das heißt, dass Anna als Ehebrecherin, die ihren Mann verlassen hat, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen ist. Für Wronskij gilt das nicht. Er hat weiterhin nahezu alle Optionen offen. Einer der Gründe für den Bruch. Wer ist schlimmer dran? Anna, die den herrschenden Konventionen zum Opfer fällt oder Wronskij, der zumindest mit seinem Verhaltensrepertoire nichts gegen die schleichende Entfremdung, nichts gegen Annas Depressionen wegen der gesellschaftlichen Ächtung und wegen des Verlusts ihres Sohnes tun und auch ihren Suizid nicht verhindern kann. Hätte er etwas tun können? Was hätte er tun können?
  • Intellektualität vs. Bodenständigkeit: Der Roman vertritt die These, dass Klugscheißerei einen nicht wirklich weiterbringt. Konstantin Lewin versucht, die großen Fragen nach Leben und Tod, Liebe, Gesellschaft und Gerechtigkeit, Mann und Frau intellektuell anzugehen und scheitert damit. Mit sich und der Welt Frieden kann er erst schließen, nachdem er aufgehört hat, sich diesen Fragen intellektuell zu nähern und anfängt, Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen ohne den Anspruch, gleich die ganze Welt retten zu wollen. Ich denke nicht, dass  Lewins Weg für jeden der richtige ist, aber darüber nachzudenken, ob Intellektualität bei den wesentlichen Aspekten menschlicher Existenz wirklich weiterhilft, ist ganz bestimmt nicht verkehrt.

„Auch der Gutsbesitzer konnte, …

… wie alle selbständig denkenden Eigenbrötler sich nicht in andrer Leute Ansichten hineindenken und hielt nur um so leidenschaftlicher an seinen fest.“

L. Tolstoi, Anna Karenina, S. 397

Dan Mc Call, Triphammer

Beziehungsdrama, Alkohholprobleme, ein Briefkasten wird won einer wütenden Frau umgefahren:

„Ich sitze immer noch auf meinem Sessel als Dick von der Schule nach Hause kommt. Ich bin schon halb zu. Er fragt, was mit unserem Briefkasten passiert ist. Ich sage, er hat dieses Leben nicht mehr ertragen.“