Die Unfähigkeit zu trauern

Der Tagesspiegel hat in seiner Ausgabe vom 28.11.2010 an Maria Hellwig erinnert:“ Maria Hellwig war im Krieg bei einem Bombenangriff verschüttet worden, sie verlor zwei Ehemänner, überstand zwei Fehlgeburten und zwei Infarkte. Das alles kam in ihrer Musik nicht vor.  Das „Hellwig-Prinzip“ lautete:“Positiv denken, dann wird’s der Herrgott schon richten.“ Zehn Millionen Tonträger haben Mutter und Tochter mit dieser Devise verkauft.“

Zuerst hat mich das an Hiob erinnernde Ausmaß an Prüfungen beeindruckt, die dieser Frau auferlegt wurden. Dann habe ich – zu schnell – der Feststellung, dass alle diese Prüfungen in ihrer Musik nicht vorkamen zugestimmt und darin einen Widerspruch gesehen.

Wenn man länger drüber nachdenkt, ist das  gar nicht so plausibel: Die gesamte frühe Bundesrepublik wäre  nicht vorstellbar, wenn die Leute über ihre Erlebnisse im Krieg und in der Nachkriegszeit ernsthaft nachgedacht hätten. Und ist das heute so viel anders? Setzen sich die Menschen heute intensiv mit Fehl- und Schicksalsschlägen auseinander? Vermutlich nicht, und deshalb besteht zwischen der gusseisernen guten Laune der seligen Maria Hellwig und den Schicksalsschlägen durchaus kein Widerspruch. Und die zehn Millionen verkauften Tonträger lassen vermuten, dass das beim Publikum nicht wesentlich anders ist.